Einige Zeit ist bereits vergangen, aber die Thematik braucht eben genau diese Zeit um sich damit genauer auseinanderzusetzen. Ende des letzten Jahres habe ich die zertifizierte Weiterbildung Therapeutisches Klettern (umgangssprachlich auch Klettertherapie) an der TU München absolviert. Interessante Tage und spannende Inhalte in allen drei Modulen, die teils in der Sporthalle der TU München und teils in Rosenheim in der DAV Kletterhalle stattgefunden haben. Unterschiedliche Settings und unterschiedliche Menschen…
Ich habe meine Schwerpunkte auf die Bereiche Funktionelles Training (Orthopädie und funktionelles Training), Kinder und Jugendliche (körperliche und geistige Behinderungen) und Verhalten und Erleben (psychische Erkrankungen) gelegt. Diese drei Module waren durchdacht und gut aufgebaut, der Input war individuell auf die Grundkenntnisse der Teilnehmer zugeschnitten und ich habe viele spannende Themen und tolle neue Menschen kennen gelernt. Inhaltlich habe ich nachstehend zusammengefasst, was über die drei Module an neuem Input kam und was ich lernen konnte.
Therapeutisches Klettern ist eine Therapieform, die sich des Kletterns bedient. Das Therapeutische Klettern hat seine Schwerpunkte derzeit in folgenden Bereichen:
- Funktionelles Training (Orthopädie, funktionelles Training)
Hier bietet das Klettern Ansätze für ein funktionelles und effektives Aufbautraining. Es fördert Motorik, Muskelstabilisierung, Körperbeherrschung und die Bewegungsabläufe. So ergänzt das Therapeutische Klettern die klassische Krankengymnastik u.a. nach Bänder- und Gelenkverletzungen sowie bei Haltungsschäden, Schulter- und Knieproblemen und mehr.
- Psychotherapie (Psychische Erkrankungen, Verhalten und Erleben)
Therapeutisches Klettern im Rahmen einer psychologisch/psychotherapeutischen Behandlung ist vielfältig. Bei Patienten mit Angst- und Panikstörungen kann es als Expositionsübung genutzt werden, im Rahmen einer Essstörung zur Körperwahrnehmung, oder bei Depressionen zur Aktivierung. Durch das Setting beim Klettern an sich, kann das Therapeutische Klettern ebenfalls im Bereich der Zwangsstörungen angewandt werden und auch bei multiplen Störungen oder Kombi-Erkrankungen ansetzen.
- Physische und psychische Behinderung (Schwerpunkt Kinder und Jugendliche)
Therapeutisches Klettern bietet als Interventionsmöglichkeit bei verschiedensten Indikationen und Zielgruppen ein enormes Potential im Hinblick auf den Therapie- und Krankheitsverlauf. Diverse Behinderungsarten und deren Schwerpunkte werden analysiert und gefördert. Hier geht es insbesondere um das richtige Setting und Sicherheit, sowie ein Verständnis für das Klientel an sich und den Umgang im Risikosport mit Behinderung.
- Alltagsproblematik (Persönlichkeitsentwicklung, Lebensqualität, Problemlösung)
Therapeutisches Klettern kann aufgrund seines hohen Motivationscharakters und der diversen Problemstellungen einen enormen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, Problemlösestrategien, analytische Fähigkeiten, Durchsetzungsvermögen und weit mehr sind schul- und entwickelbar. Die Parallelen die sich vom Klettern zum alltäglichen Leben (beruflich wie privat) ziehen lassen sind vielfältig und können enorm komplex gestaltet werden. Die Innere Einstellung, mentale Stärke und körperliche Anforderungen können variiert und verknüpft werden und geben so die Möglichkeit zur ganzheitlichen Herangehensweise an unterschiedlichste Fragestellungen.
Effekte, Wirkungsprinzip und Ziele
Klettern besitzt einen hohen Motivations- und Aufforderungscharakter. Die Patienten gewinnen Selbstvertrauen in ihre körperlichen Fähigkeiten, da sowohl in Bodenhöhe als auch darüber hinaus gearbeitet werden kann. Eine Einheit kann somit am Boden oder in wenigen Zentimetern Höhe stattfinden, bei Bedarf aber auch beliebig ausgeweitet werden.
Durch die nötige Kombination der Muskelarbeit, sowie einer hohen Konzentration und Fokussierung und das beim Klettern unmittelbar verbundene Ursach-Wirkungs-Geschehen kommt es zu einem einzigartigen Setting. Bewegungsabläufe in statischer und dynamischer Kombination, sowie in geschlossenen Muskelfunktionsketten sind Grundlage des Vorgehens. Der Gleichgewichtssinn wird durch die ständige Körperschwerpunktkontrolle und Stabilisierung gefördert. Mentale Stärke, Konzentration und Koordination werden geschult und in anpassbaren Anforderungen individuell auf den Teilnehmer/die Teilnehmerin zugeschnitten. Gruppen- und Einzelsettings sind möglich um auch durch diesen Faktor konkret auf auf die Fragestellungen und die Anforderungen der TeilnehmerInnen einzugehen.
Vertrauen gehört beim Klettern als Grundprinzip zum Thema Sicherheit, der gegenseitige Partnercheck, die Verbindung der Partner durch das Seil, gegenseitiges Unterstützen und Motivieren, sowie gemeinsame Problemlösungen zu finden und -strategien zu entwickeln, gehören zum Basisumfang. Diese dann in den Alltag zu integrieren, zu übernehmen und zu festigen sind weitere Schritte, die in Folge der einzelnen Treffen stattfinden. Begleitet durch den überweisenden oder empfehlenden Psychotherapeuten oder Arzt oder im Bereich der Alltagsproblematik natürlich auf Wunsch auch mit pädagogischer Begleitung durch gute Vernetzung mit den entsprechenden Stellen.
Ziel ist es den TeilnehmerInnen eine höhere Lebensqualität in allen Bereichen zu ermöglichen und diese bei der Erreichung der (selbst)gewählten Ziele zu unterstützen, sowie den Prozess zur Erreichung in einem individuell zugeschnittenen Setting zu begleiten und das Ergebnis zu festigen und das Netzwerk im Bedarfsfall entsprechend zu integrieren bzw. zu koordinieren und somit Stärken auszubilden und Frage- und Problemstellungen zu lösen.